Was ein Seelsorger über Konflikte sagt -
Interview mit Benjamin Floer

VON Axel Maluschka
10. Juli 2017

Der Seelsorger Benjamin Floer geht zum Bäcker. Noch bevor er seine Brötchen bestellen kann, wird er von einem anderen Kunden angesprochen. 

"Guten Morgen, Herr Floer, haben Sie mal eine Minute?"

Benjamin lächelt, denn er hat sich angewöhnt, die dreifache Zeit fürs Brötchen-holen einzuplanen. Seine Seelsorge beginnt nicht erst mit dem Dienst und endet nicht nach Feierabend.

Seelische Probleme und Konflikte warten überall und jederzeit. Als Seelsorger ist sich Benjamin dessen bewusst und ist immer für die Menschen da.

Lausche, was er dir zu erzählen hat!    

Heute erfährst du:

  • Welche seelischen Probleme einem Seelsorger immer wieder begegnen.
  • Wie sich die Arbeit eines Seelsorgers von der eines Psychologen unterscheidet.
  • Welche Konflikte Benjamin immer wieder begegnen und
  • Was er für die Konflikte empfiehlt.
  • Warum du bei Sorgen und seelischen Problemen (oft) einen anderen Menschen zur Lösung brauchst.
  • Mit welchen Tools du dir dennoch manchmal schnell selbst helfen kannst. 
  • Was Benjamin den Menschen allgemein empfiehlt, wie sie das Zusammenleben verbessern können.  

Viel Spaß beim Hören!

Shownotes


Alle Folgen von „Konflikt-Power aufs Ohr“ findest du hier.


Transkript

Grüß dich! Ich bin Axel Maluschka. Du hörst den Podcast „Konflikt-Power aufs Ohr“.

Du erfährst hier ganz nebenbei, was dir ein professioneller Seelsorger bei Konflikten empfiehlt. Sowohl bei den Inneren als auch bei den Zwischenmenschlichen.

Heute habe ich Benjamin Floer zu Gast. Er ist Pastoralreferent, Blogger, Autor und Podcaster.

Du kannst dich auf ein interessantes und lebendiges Interview freuen.

Zunächst erst einmal Musik!

[Musik]

Bevor wir heute ins Interview einsteigen, erzähle ich dir noch ein wenig über Benjamin, meinen heutigen Gast. Und zu Beginn sage ich noch zwei Dinge in eigener Sache.

Ich habe mich vor kurzem riesig gefreut, dass ich von dem Podcaster über das Thema Führung – von Bernd Geropp – empfohlen wurde. Er hat mich in seiner Folge 179 mit dem Titel „12 neue Business Podcasts, die Sie vielleicht noch nicht kennen!“ genannt.

Lieber Bernd, wenn du mich hörst, danke ich dir auch an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich dafür.

Ja, liebe Hörerin, lieber Hörer, solltest du den Podcast gleich nach der Veröffentlichung hören, hast du mitbekommen, dass ich momentan nicht jede Woche eine neue Folge bringe. Derzeit widme ich mich intensiv meinem neuen Buch, das ich innerhalb der nächsten zwei Wochen fertigstellen werde.

Wenn es veröffentlicht ist, wirst du es erfahren. An dieser Stelle verrate ich nur so viel, dass es weder um Kampfsport noch um Konflikte geht. Du siehst, ich bin vielfältig unterwegs.

Für die nächsten drei Monate strebe ich an, 2-3 neue Podcast-Folgen im Monat herauszubringen.

Damit komme ich zu meinem heutigen Interviewpartner.

Axel: Benjamin, dann lass uns mal gleich einsteigen ins Interview. Meine erste Frage – also erst einmal: Hallo!

Benjamin: Hallo!

Axel: Wir haben gerade schon das Vorgespräch geführt. Aber die Hörerinnen und Hörer bissen das ja nicht. Von daher, damit alle wissen das wir höfliche Menschen sind –

Benjamin: Können wir die ja auch begrüßen.

Axel: Auch an alle Hörer einen – „schönen guten Morgen“ kann man nicht sagen. Aber ein „Guten Tag“ oder „Gute Nacht“ oder welche Zeit jetzt immer auch gerade beim Hörer ist.

Benjamin: Servus!

Axel: Genau! Das passt immer.

Wie und wann sich Menschen an einen Seelsorger wenden

Benjamin, eine Frage, die mich auch persönlich interessiert: wie viel Seelsorge umfasst deine Arbeit in etwa pro Woche oder pro Monat? Kannst du da etwas sagen?

Benjamin: Das ist schwer zu sagen. Natürlich umfasst der Job auch viel Organisation, Sitzungen usw. Ich versuche, dass die eigentliche Seelsorge immer Priorität hat und den Schwerpunkt einnimmt. Ansonsten würde ich sagen, ich bin 100 % im Dienst. In der Seelsorge gibt es ja keinen klassischen Feierabend, dass ich jetzt sage, wenn jemand kommt und Hilfe braucht: „Jetzt bin ich nicht mehr zuständig.“

Das geht so weit, dass ich zum Beispiel samstags morgens, wenn ich Brötchen holen gehe, die dreifache Zeit einplane, weil man sowieso angesprochen wird.

Ich wohne mitten in der Innenstadt. Klar gibt es dann organisatorische Sachen, wo man sagt: „Das können wir dann nächste Woche besprechen.“

Aber wenn jemand etwas Inhaltliches erzählt, dann bin ich immer da.

Genauso, wenn es hier an der Tür klingelt.

Axel: Das ist echt so, dass die Menschen zu dir kommen und klingeln und sagen: „Herr Floer, können wir mal reden?“

Benjamin: Das passiert ab und zu.

Axel: Und beim Bäcker wirst du angequatscht, weil du gerade da bist?

Benjamin: Genau! Und das ist auch so ein bisschen mein eigener Anspruch. Ich sage zum Beispiel, bei den Stadtfesten gehöre ich einfach hin, um eine niederschwellige Erreichbarkeit zu ermöglichen. Das macht ja keinen Sinn, wenn die Leute meinten, sie müssten im Büro erst einmal einen Termin ausmachen wie beim Arzt. Sondern ich glaube, wir müssen da sein, wo die Leute sind, und nicht warten, bis die zu uns kommen.

Axel: Und jetzt mal von der persönlichen Ansprache beim Bäcker oder vom Klingeln bei dir abgesehen, gibt es noch mehr Formen, wie die Menschen sich an dich wenden?

Benjamin: Eigentlich alle Formen, die du dir vorstellen kannst. Es gibt sogar inzwischen Anfragen per Social Media, zum Beispiel bei Facebook, wo ich dann immer ganz schnell versuche, das Medium zu wechseln.

Zum einen kann ich nicht alle Leute, egal wo die herkommen, betreuen. Da gibt es ja auch Leute vor Ort. Und Facebook ist einfach der falsche Ort, finde ich, weil – wie wir alle wissen – die die Daten ja haben wollen. Und das sind Daten, die möchte ich Ihnen nicht zur Verfügung stellen.

Axel: Ja, das ist klar.

Wenden sich jetzt nur religiöse Menschen an dich oder auch Ungläubige bzw. solche, die nicht deinem Glauben angehören? Wie handhabst du das?

Benjamin: Das kommt natürlich ganz darauf an. Normalerweise sind es Gläubige. Schwerpunkt sind Gemeindemitglieder hier vor Ort. Es gibt aber auch Ausnahmen. Wenn wir beispielsweise zu Beerdigungen rausgehen, da trifft man ja auf alle möglichen Menschen. Genauso in der Notfallseelsorge. Da wird nicht gekuckt, welche Konfession hat jemand. Da ist erst mal jemand, der Hilfe braucht. Und wir fahren mit raus. Und alles andere ergibt sich dann. Wir passen das Verhalten dann entsprechend an. Aber da ist Begegnung mit allen möglich.

Axel: Und gibt es denn von den Sorgen, die dir immer wieder begegnen, die Menschen an dich herantragen, gibt‘s da eine bestimmte Art oder etwas, das dir immer wieder begegnet?

Benjamin: Was immer wieder kommt, sind natürlich die großen Krisen des Lebens: Tod, Trauer, Ängste.

Ganz viel – das merke ich gerade bei jüngeren Menschen – immer mehr Zukunftsunsicherheit. Nicht einmal im Sinne einer Angst vor der Zukunft. Ich glaube, das haben wir gar nicht mehr. Aber so etwas wie: wo geht mein Weg eigentlich hin? In der Fülle der Möglichkeiten ein bisschen Orientierungshilfe.

Da bin ich zum Beispiel froh, dass wir inzwischen einen Stand mit dem Bistum auch immer auf dieser Einstiegsabiturientenmesse haben. Gar nicht, um unsere eigenen Dinge anzupreisen. Wobei die Leute ja immer überrascht sind, dass Bistum auch Informatiker einstellt. Da rechnet dann keiner mit. Aber wir bilden halt aus, was wir selber brauchen.

Wir sind dort, um Präsenz zu zeigen und den Leuten ein wenig Ruhe zu gönnen in dem Tumult dort und zu sagen: Komm, wir gucken mal, wo es für dich hingehen kann und reden einfach mal darüber, ohne dich von irgendetwas Bestimmtem überzeugen zu wollen.

Sonst kommen als Themen immer wieder Stresssachen, Familienstreitigkeiten.

Axel: Noch eine Frage zum Thema deiner Arbeit: Wie unterscheidet sich deine Arbeit zu der eines Psychologen? Kannst du da irgendetwas sagen? Oder kann man das an etwas festmachen

Benjamin: Also ich glaube, dass die Grenzen teilweise fließend sind. Dass es aber ganz wichtig ist, gerade für uns in der Seelsorge zu merken, wo ist unsere Grenze erreicht. Also ich kann keine Krankheitsbilder behandeln. Ich kann das nicht einmal vernünftig einschätzen. Das habe ich nicht gelernt.

Ich kann vernünftig zuhören. Aber sobald ich das Gefühl habe, da ist Bedarf von psychologisch professioneller Hilfe, arbeite ich darauf hinaus, dass das auch gegeben wird. Also dass sich jemand woanders auch noch die Hilfe sucht, die er wirklich braucht. Weil das ist etwas, was wir nicht leisten können. Das wäre auch eine Selbstüberschätzung, so zu tun.

Welche Konflikte einem Seelsorger immer wieder begegnen

Axel: Du hast gerade schon angesprochen, die begegnen dann so Sorgen wie Zukunftssorgen – so nenne ich es jetzt mal. „Ängste“ hast du ja selber gesagt, passt nicht so ganz. Aber einfach den Weg zu finden, den eigenen, das begegnet dir immer wieder. Aber auch Streitereien.

Bei den Streitereien – Was für Streitereien oder Konflikte begegnen dir immer wieder? Das erste – den eigenen Weg zu finden – das würde ich in den Bereich innere Konflikte einsortieren. Streitereien sind eher zwischenmenschliche Konflikte.

Benjamin: Gerade, da ich die komplette Jugendarbeit hier betreue, also Pfadfinder, Messdiener usw., sind es natürlich auch Streitigkeiten zwischen Freunden, in Freundeskreisen, Partnerschaften, wo es kriselt. Das sind so die Schwerpunkte momentan.

Axel: Und bei den inneren Konflikten da geht es mehr so um den Lebensweg, um die Aufgabe, um das Finden der Aufgabe?

Benjamin: Ja oder um das Nachbearbeiten. Bei Trauerprozessen halt. Wenn wir den inneren Weg begleiten, gerade in Akutsituationen. Da hat ja jeder einen ganz eigenen Umgang damit. Da gibt es diejenigen, die unglaublich aggressiv werden. Diejenigen, die einfach anfangen zu leugnen. Ich habe eine Situation gehabt, wo jemand aufstand und sagte: „Das kann nicht sein, und ich finde das auch nicht lustig, dass man so etwas hier einfach erzählt!“

Da hat man also gemerkt, dass das Hirn komplett ausgeblendet hat, dass das Realität sein könnte. Das war total spannend.

Axel: Der wollte nicht hören, dass der Mensch gestorben ist?

Benjamin: Genau! Sie hat einfach gesagt, sie fände das nicht lustig und sie würde jetzt auch gehen.

Axel: Ui, ui, ui!

Benjamin: Das finde ich einfach immer wieder spannend, wie unser Gehirn dann doch sich selber schützt vor Schmerz.

Warum Zuhören oft das Wichtigste ist

Axel: Ja, das finde ich auch sehr interessant.

Gibt es denn so bei inneren Konflikten irgendetwas, das du immer wieder empfehlen kannst? Weil es sich einfach bewährt hat? Oder kommt das wirklich ganz auf den Konflikt an, lässt du dich dann ganz auf die Person ein?

Benjamin: Ich versuche erst einmal gar nicht, viel zu empfehlen. Wenn mir jemand etwas erzählt, dann habe ich ja nur einen sehr kleinen Eindruck von dem, was in demjenigen gerade vorgeht. Ich versuche erst einmal herauszuhören, was da wirklich ist. Und in seltensten Fällen sage ich: „Machen Sie doch mal das und das. Probieren Sie mal.“

Ich orientiere mich immer daran, dass ich zwei Ohren und einen Mund habe.

Und das Schöne ist: Den Mund kann ich auch noch schließen, die Ohren nicht. Das muss ja irgendeinen Sinn von der Natur haben.

Das hilft mir immer, mich daran zu erinnern: Jetzt höher erst einmal zu und halte deine eigene Lebensgeschichte da raus! Denn meine Erfahrungen sind nicht die Erfahrung von demjenigen und das ist nicht zwingend das, was ihm dann wirklich hilft.

Axel: Also kann man schon fast zusammenfassen, dass vielen Menschen es einfach hilft, dass du ihnen zuhörst.

Benjamin: Ja, das glaube ich schon.

Axel: Das glaubst du. Und da brauchst du gar keine Empfehlung raushauen. Ich fand mal den Spruch: „Ratschläge sind auch Schläge.“ sehr schön.

Du brauchst also gar nicht irgendjemandem etwas an den Kopf zu knallen, sondern einfach zuhören und dann sind die Menschen schon ein Stück weit beruhigter.

Benjamin: Also ich habe die Erfahrung gemacht, dass viele nicht nur beruhigt sind, sondern plötzlich so ein Knoten platzt und sie für sich selber eine Lösung finden. Hinterher manchmal noch der Überzeugung sind, man hätte ihnen das ja gesagt und das wäre total toll gewesen. Wo ich dann denke: Nee, das hast du selber gemacht.

Und wenn es die Situation anbietet, schaue ich, ob wir das noch in Gebetsform bringen. Das Ganze noch einmal irgendwie abgeben. Aber das muss halt auch passen zu demjenigen.

Axel: Ja, finde ich spannend. Denn ähnliche Erfahrungen habe ich als Coach auch gemacht, dass man mit dem Coachee – heißt er dann – etwas herausarbeitet, wo am besten der Coachee selber drauf kommt. Und er ist dann völlig erleichtert und der Meinung, ich hätte ja den entscheidenden Impuls gegeben als Coach. Manchmal habe ich das gar nicht. Manchmal – wie gesagt – habe ich einfach nur zugehört und noch einmal zusammengefasst. Und plötzlich ergab sich eine neue Perspektive. Das scheint bei dir ähnlich zu sein.

Benjamin: Ja, und das finde ich total spannend, dass man dafür aber jemanden braucht. Ich kenne das selber von mir auch. Ich setze mich auch nicht hin, und spreche meine Gedanken mal laut durch oder notiere mir das mal alles schriftlich. Ich glaube da würde man vieles schon an inneren Konflikten mit sich lösen können, wenn man einfach mal einen Brief an sich schreibt oder sich eine vernünftige Mindmap malt.

Wahrscheinlich kennst du das auch: das ist so eine Art Gedankenkarussell. Dann kommt eins zum anderen. Auch bei äußeren Konflikten: der war blöd zu mir und der aber auch. Das war schon in meiner Kindheit so. Wahrscheinlich bin ich einfach blöd, wenn die das alle sagen. Und in dem Moment sind alle anderen positiven Erfahrungen ausgeblendet und man kommt immer tiefer in diesen Strudel hinein. Und ich glaube, dann mal wirklich einen Cut zu machen und entweder es mal jemandem zu erzählen oder die Sachen mal anders zu sortieren, ist sehr sehr hilfreich.

Was ein Seelsorger generell zu Konflikten sagt

Axel: Ja, ich glaube, im Endeffekt – wenn wir schon beim Thema Konflikte sind – geht es ganz oft darum, anders zu sortieren und aus anderen Perspektiven den Konflikt mal zu betrachten. Und da ist das ein super Tipp: Einfach mal die Sachen aufschreiben, eine Mindmap machen oder mal die Gedanken notieren und dann beispielsweise einen Tag liegen lassen und am nächsten Tag noch einmal anschauen. Das sind Tipps, wie man die selber tatsächlich versuchen kann zu bearbeiten. Wenn es natürlich schon eskaliert ist, wird auch das schwer, weil die Dissoziation gar nicht mehr möglich ist. Dann komme ich ja gar nicht mehr heraus aus dem Konflikt emotional.

Wenn es jetzt um zwischenmenschliche Konflikte geht, – wenn wir gerade dabei sind – macht es denn dann überhaupt Sinn, nur mit dir zu reden? Oder wäre es nicht viel besser, wenn beide Konfliktparteien im zwischenmenschlichen Konflikt dabei wären?

Benjamin: Ich glaube, dass es hilft, sich erst einmal selbst zu sortieren. Bevor man in ein Konfliktgespräch mit jemand anderem geht, sollte man vorher wissen,

  • was man wirklich will,
  • was man nicht will,
  • was die eigenen Zielsetzungen für das Gespräch sind.

Und da hilft, glaube ich, wenn man vorher schon mal mit jemand anderem spricht. Ganz egal, ob der jetzt professionell ist oder auch aus dem Freundes- oder Bekanntenkreis.

Und dann kann man in einem zweiten Schritt vielleicht den anderen dazu holen, wenn er das möchte. Wobei ich meine Rolle ja dann nicht darin sehe, Partei zu ergreifen. Ich nehme eher eine vermittelnde Rolle ein. Eine Art Moderation, um einfach dafür zu sorgen, dass die sich mal zuhören.

Ich glaube, viele Konflikte bestehen schon darin, dass man gar nicht genau verstanden hat, was der andere will. Wir bilden uns ja immer ein, wir verstehen das.

Axel: Also eigentlich sind das Missverständnisse. Kann man das so sagen?

Benjamin: Ja. Viele.

Axel: Wenn du sagst „viele“, kannst du dann sagen, wie viele das sind? Vielleicht in Prozent? Oder ist das schwierig, das festzustellen?

Benjamin: Oh, das kann ich nur raten. Das wäre jetzt eine rein individuelle Einschätzung.

Ich habe das gemerkt in einer Weiterbildung, an der ich mit meiner Frau teilgenommen habe. Da ging es um Gesprächsführung als Paar. Da haben wir Gefühlskarten bekommen, an denen wir uns orientieren sollten.

Zum einen das klassische „Roger!“. Und immer wieder zurückgeben: „Ich habe gerade verstanden, du hast das und das gesagt.“ Vielleicht nicht mit diesem Standardsatz, aber schon so, dass der andere mitkriegt, okay, der versteht wirklich, was ich hier sage. Und dabei aber immer wieder auf diese Karte gucken und sagen, welches Gefühl beschreibt das gerade, was ich eigentlich wirklich habe. Und das war total inspirierend, um selber noch einmal tiefer da hineinzukommen, was man eigentlich gerade sagen möchte.

Nur zu sagen: „Das ärgert mich“, ist ja sehr oberflächlich.

Okay, es gibt nur vier Grundgefühle:

  • entweder ich ärgere mich
  • ich bin wütend
  • ich bin traurig oder
  • ich freue mich.

Aber diese Gefühle sind ja dann noch einmal sehr unterfächert.

Das finde ich übrigens spannend, dass es nur ein Positives von den vieren gibt.

Axel: Ja, ich habe da mal eine interessante Theorie gehört, zumindest wenn man der Evolutionstheorie glaubt. Dann war es ja früher tatsächlich sinnvoller, dass die Menschen vorsichtiger und ängstlicher waren. Denn die Mutigen und Erfreuten sind vor die Höhle gegangen und da hat der Säbelzahntiger gewartet. D.h., die sind eher ausgestorben als die Ängstlichen und Vorsichtigen. Das war so eine revolutionäre Begründung, die ich mal gehört habe.

Jetzt weiß ich natürlich nicht, inwieweit das mit der Erschaffung des Menschen durch Gott zusammenpasst.

Benjamin: Nein, das passt schon. Denn eine Evolution hat ja trotzdem danach stattgefunden. Ich bin nicht der Überzeugung, wir sind gestern so geschaffen worden.

Axel: Vor 6000 Jahren, glaube ich.

Benjamin: Das finde ich in der Philosophie immer spannend, diesen Gedanken. Der Professor sagte: „Wer sagt Ihnen eigentlich, dass die Welt nicht vor 1 Sekunde entstanden ist und sie einfach mit Ihren Erinnerungen geschaffen wurden?“

Axel: Das sind noch ganz andere Fragen.

Benjamin: Nein, ich sage mal, die Theorie mit dem Säbelzahntiger kannst du ja genauso gut andersrum auslegen. Die Mutigen sind rausgegangen zum Jagen, die Ängstlichen sind in der Höhle verhungert.

Axel: Theorien sind immer nur Angebote und Erklärungsversuche. Jeder Mensch guckt er dann für sich, was passt und was passt eben eher nicht.

Gibt es denn jetzt, wenn wir beim Thema Konflikte sind, – ich finde ja das Thema Theorien über die Welt sehr sehr interessant. Ich glaube, dass man über das Weltbild, dass jeder einzelne hat, also das Bild von der Welt, nicht streiten sollte. Also dieses: „Das ist aber so!“ macht null Sinn, weil jeder Mensch ganz persönliche Erfahrungen macht. Die sind jedes Mal einzigartig. Und alles andere sind Erfahrungen von anderen Menschen, die ich angenommen habe oder Annahmen über die Welt, die ich gar nicht erfahren und erleben kann. Wo ich einfach glaube, die Welt ist so und so. In meinen Augen macht es null Sinn, darüber zu streiten oder in Streit zu geraten, wie die Welt ist.

Gibt es deiner Erfahrung nach noch andere Streitursachen, wo du sagst: „Das macht ja nun überhaupt keinen Sinn, darüber zu streiten!“?

Benjamin: Ich finde, es gibt so viele Themen, über die man so häufig streitet. Ich fange mal so herum an: Ich glaube, es gibt Themen, da wird zu wenig gestritten. Man sagt ja immer: „Über Politik und Geld und Geschmack lässt sich nicht streiten.“

Ich glaube, wir sollten über Politik vielmehr streiten. Dann würden da vielleicht sinnvollere Dinge noch bei rauskommen, als das momentan der Fall ist. Da sind wir alle noch viel zu lieb und streiten mit den falschen Leuten.

Ich finde, zum Beispiel Geld ist etwas, darüber kann man echt nicht streiten.

Wie man Geldstreitigkeiten beilegt

Axel: In welcher Beziehung meinst du das?

Benjamin: Gerade in Familien kommt es ja immer wieder zu Streitigkeiten.

Axel: Also Erbstreitigkeiten.

Benjamin: Ja, Erbstreitigkeiten.

Bei Ehepaaren:

  • Wie gehen wir mit dem Geld um?
  • Wofür geben wir das aus?

Ich glaube, dass da eine vernünftige Einigung überhaupt nicht möglich ist.

Axel: Echt?

Benjamin: Es macht mit Sicherheit Sinn, irgendwelche Vereinbarungen grob zu treffen. Aber die Bedürfnisse sind halt sehr individuell.

Wenn meine Frau jetzt sagt: „Ich brauche neue Schuhe“, dann könnte ich das zuerst einmal infrage stellen. Definieren wir brauchen: zwei Füße – zwei Schuhe. So!

Aber wenn ich darüber jetzt anfange mit ihr zu streiten, dann habe ich ganz schnell die Diskussion hier über Technik oder ähnliches. Und ich glaube, das haben wir irgendwann für uns festgestellt. Dass wir gesagt haben: „Mensch, da sind wir so unterschiedlich. Und das ist gut so!“ Und wir lassen uns unsere Bedürfnisse.

Klar geht das nicht, wenn du dich jetzt dafür verschuldest. Das darf natürlich nicht sein. Aber einfach mal zu akzeptieren, jeder Mensch braucht andere Dinge.

Das finde ich so schön: ich bin von der Benediktinischen Spiritualität her geprägt, also von den Benediktiner her. Weil ich eine Weile für die gearbeitet habe in einem Jugendhaus. Da fand ich immer so spannend, dass Benedikt sagt: „Gerechtigkeit ist nicht, dass jeder dasselbe bekommt, sondern Gerechtigkeit ist, dass jeder das bekommt, was er braucht.“

Und darauf bauen die ihre ganze Ordensregel auf. Derjenige, der das Geld verwaltet… Die Zellen sind dermaßen unterschiedlich eingerichtet: von demjenigen, der auf einer Matratze auf einer Europalette schläft, bis zu dem, der sagt: „Ich brauche aber ein Hochbett, damit ich mehr Platz in meinem Zimmer habe.“ Da ist der eine, der überhaupt keine Technik hat. Und der andere sagt: „Ich brauche für meinen Arbeitsbereich das und das.“ Bis hin zu Urlaubsformen. Muss es ein Hotel sein? Einer zieht sich einfach Wanderschuhe an und geht los direkt vor Ort.

Und ich glaube, darüber zu streiten, was der einzelne braucht und was ihn glücklich macht oder nicht, das sollte man unterbinden.

Axel: Das sind ja im Endeffekt auch wieder nur Theorien, was jeden einzelnen glücklich macht. Ich glaube auch, dass das jeder erst einmal für sich herausfinden sollte. Es ist ja eigentlich auch so das große Abenteuer des Lebens herauszufinden:

  • Was macht mich glücklich?
  • Was erfüllt mich?

Benjamin: Genau!

Axel: Und das den Menschen abzuschneiden oder vorzuschreiben – in welcher Form auch immer –, halte ich auch nicht für produktiv oder nützlich. Wie auch immer man das formulieren möchte.

Darf ich mal fragen – das interessiert mich jetzt natürlich –: Wie habt ihr, also deine Frau und du, das Thema gelöst „mögliche Streiterei um Geld“? Oder ist die Frage zu privat?

Benjamin: Ja, wir haben einen Teil der Finanzen zusammen, und jeder hat einen kleinen Anteil Taschengeld. Und über den diskutieren wir auch nicht

Axel: Also die Taschengeldregelung? Eine einfache Regelung, die oft funktioniert.

Benjamin: Ja genau!

Axel: Und dann darf der andere nicht diskutieren, wenn du dir die neueste HiFi-Anlage holst oder so etwas. Oder das neueste Computer-Gadget. Und deine Frau das 85. Paar Pumps oder so.

Benjamin: Ganz so schlimm ist sie nicht.

Axel: Ja, das wollte ich jetzt auch nicht gesagt haben. Das war natürlich in beiden Fällen… Ach? Das erste war gar nicht überspitzt? Was dich jetzt angeht?

Benjamin: Das haut hin. Das ist nicht überspitzt, leider.

Axel: Okay!

Was ein Seelsorger Gott empfehlen würde

Wenn du an das Thema Streit und Konflikte denkst und damit an das Zusammenleben der Menschen, welche Empfehlung würdest du Gott geben, damit er das Zusammenleben seiner Schäfchen schnell verbessern kann?

Benjamin: Zunächst einmal glaube ich nicht, dass ich in der Position bin, ihm zu sagen, wie es läuft. Weil dafür hat er, glaube ich, mehr Überblick als ich. Hoffe ich. Dass er sich ein paar mehr Sachen erklären kann.

Ich denke, es wäre hilfreich, wenn Gott allen einfach mal mehr Geduld schenken würde.

Da sind Menschen irgendwie Mängelwesen. Vielleicht liegt es jetzt auch an den Menschen, die ich kenne und an dem Umland, dass es in Deutschland gibt. Wo das noch deutlich mehr ist als woanders auf der Welt. Ich will mich da überhaupt nicht ausnehmen. Ein bisschen mehr Geduld würde oft vieles einfacher machen im Zwischenmenschlichen.

Axel: Super! Das ist ja ein schönes Schlusswort, möchte ich fast schon sagen.

Benjamin, habe ich irgend eine wichtige Frage deiner Meinung nach vergessen? Gibt es noch irgendetwas, was dir beim Thema…

Benjamin: Nein, war ein sehr schönes Gespräch.

Axel: Ja, fand ich auch.

Benjamin: Ganz viele neue Impulse auch noch einmal.

Axel: Das freut mich. Ja, auf meiner Seite auch. Und das finde ich immer klasse an Interviews, dass dann so viel Austausch und so viel Neues auf einen einströmt. Und da habe ich jetzt erst einmal wieder viel zu denken und zu verarbeiten und sicherlich auch praktischen Tipps mitzunehmen.

Ja, Benjamin, dann danke ich für das Interview. Wünschte noch einen richtig guten Tag und, würde ich sagen, bis demnächst mal wieder!

Benjamin: Ich danke auch ganz herzlich. Bis demnächst!

Axel: Gerne! Okay, tschau!

Soweit das Interview mit Benjamin Floer.

Du erreichst ihn im Internet auf seiner Seite BenjaminFloer.de, alles zusammengeschrieben mit oe. Seine beiden Podcasts findest du ebenfalls dort sowie natürlich auf iTunes. Von ihm kannst du sehr viel über Zeitmanagement lernen auf seiner Seite, im Blog, aus seinen Büchern und aus seinem ersten Podcast. In seinem letztlich gestarteten Podcast „Unterwegs mit Benjamin Floer“ plaudert er über Gott und die Welt.

Die Links zu seiner Seite und seinen Büchern sowie das Transkript zum Interview findest du unter Konflikt-power.de/016 für die 16. Episode.

Und eine Bitte habe ich noch: wenn ihr mein Podcast gefällt, dann hilf doch bitte, dass er bekannt und sichtbar wird. Hinterlasse mir eine Rezension auf iTunes. Wenn du mir dann noch eine Mail schickst, auf deine Rezension verweist und unter den ersten zehn Rezensenten bist, bekommst du von mir ein Buch mit Widmung geschenkt. Wie das geht, findest du noch einmal zusammengefasst unter Konflikt-power.de/004.

Ich wünsche dir eine angenehme Zeit und noch einen schönen Tag. Mach‘s gut und Tschüss!


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